Die schönsten Bauten sind nicht aus Stein

Solange ich denken kann, wollte ich bauen. Ich wollte mich schon immer selbstständig machen, Dinge erschaffen, Menschen zusammenbringen und die Welt mit gestalten. Als nach meiner Friseurausbildung für mich der Traum vom eigenen Friseursalon platzte, habe ich meinen ersten Kurswechsel eingelegt. Gemeinsam mit meiner Familie habe ich in unserem Familienbetrieb, einer Druckerei, meinen eigenen Werbeagenturzweig aufgebaut. Mit meiner nun zweiten Ausbildung und einem Marketingmanager in der Tasche schien mir mein Weg klar und meine Freude vollkommen. Noch heute ist dieser Ort ein Paradies für mich und ich bin dankbar für all die Jahre, die ich dort bauen durfte. 

Eines schönen Frühlingstages spazierte meine große Liebe in mein Leben und ich folgte Ihr. Mein Mann hatte damals auch große Träume, und so zogen wir gemeinsam nach Frankfurt um dort eine christliche Gemeinde zu gründen. Plötzlich war ich Unternehmerin und Pastorenfrau. Zwei Abenteuer zu dem sich bald ein drittes gesellen wollte. 

Es war wieder Frühling und unsere erste Tochter kam zur Welt, zwei Jahre später unsere zweite Tochter. Als dieser wunderschöne Kurswechsel anstand, war mein Bruder zur Stelle. Er übernahm die Agentur und ich baute weiter, meine Familie und, gemeinsam mit meinem Mann, eine Gemeinde. 

Mit der Veränderung nun Mama zu sein, wünschte ich mir Nähe zu anderen Müttern. Da in unserem Stadtteil keine Mutter-Kind-Angebote zu finden waren, verteilte ich kurzerhand Flyer und gründete einen eigenen Mama-Lauftreff. Noch heute, Jahre später, halten diese kostbaren Freundschaften.

Zwischen all diesem Bauen und Gestalten hat mich meine Liebe zur Musik immer tanzen lassen. Seit 20 Jahren schreibe ich Musik, spiele Gitarre, singe und genieße all das Schöne, was mir diese Leidenschaft bringt.

Auch die schönsten Gebäude können einstürzen

2017 war das Jahr, in dem mir die Lieder ausgingen. Jeder Song im Radio hörte sich gleich an und eine innere Traurigkeit machte sich Raum. Mein Mann war kronischer Schmerzpatient geworden, und ohne Kurswechsel hatte ich eine neue Aufgabe angenommen. Alles sollte weiterlaufen, die Familie, die Gemeinde und all die Aufgaben die damit verbunden waren, auch die meines Mannes. Ich übernahm innerlich Verantwortungen, die mir zu schwer waren, und wurde davon erdrückt. Der Zustand der Überforderung und Resignation war mein Alltag, doch für mich war klar, dass ich weiter funktionieren muss, sonst würde alles zusammenbrechen.

Gott sei Dank - alles brach zusammen. Mein Mann schloss die Gemeinde und begann eine Schmerztherapie. Völlig erschöpft fiel ich in ein mir damals scheinbar bodenloses Loch, zum ersten Mal in meinem Leben. Zum ersten Mal in meinem Leben lies ich los, lies die Kontrolle los. Wie lange hatte ich mir gewünscht, genau das zu können, doch ich konnte nicht. Ich brauchte diese Krise, diesen Paukenschlag, um tiefer zu gehen. 

Zwei Jahre lebte ich in einem Ausnahmezustand. Ich hatte das Gefühl, das mich all die Traurigkeit meines Lebens, die ich bisher nie zugelassen hatte, überflutete. Mein Gebäude war eingebrochen. Und gleichzeitig hatte ich das Gefühl, mich zum ersten mal wirklich selber zu spüren. Da war so viel mehr, in mir und um mich herum.

Mitten in dieser Zeit entstand „Das neue Normal“. Das Schreiben von neuen Liedern und Texten brachte und bringt mein Inneres nach Außen, in die Welt, die ich sehe und in der ich so gerne baue. 

Heute baue ich anders, mutiger. Ich höre mehr auf meinen Bauch, mein Herz. Ich lerne jeden Tag ein bisschen mehr, werde jeden Tag noch ein bisschen mutiger - mutiger, ich selber zu sein. Mit all meinen Stärken und Grenzen. Ich arbeite wieder stundenweise als Grafikerin. Und auch Gemeinde ist mir wieder zur Freude geworden, ungebunden an einen Raum oder einen Kirchennamen, sondern an einen liebenden Gott.

Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser

Mein Verstand hat mein Herz über Jahrzehnte mit schnellen Antworten abgespeist. Die Spannung zwischen dem, was ich geglaubt habe und dem, was ich gefühlt habe, wurde immer größer. Ich wollte mich kontrollieren und auch Gott in eine kontrollierbare, greifbare Form bringen. 

Heute weiß ich eins sicher. Letztendlich kann ich nichts kontrollieren. Doch ich vertraue in das Leben, ich vertraue darauf, dass ich genug bin und ich vertraue meinem Gott, der so viel größer ist, als das ich ihn jemals in eine Form zwingen kann.

Die Freude darüber lässt mich wieder tanzen, zwischen den Scherben, zwischen den Trümmern der eingestürzten Gebäude. Die Lieder kommen wieder, voller Fragen, Weite und Hoffnung. Da ist so viel mehr.